Der Swiss Market Index (SMI) wie auch der Swiss Performance Index (SPI) haben sich von den Jahreshöchstständen Mitte März klar distanziert. Wie ordnen Sie die aktuelle Marktlage ein? 

Thomas Urs Fischer: Anfang Jahr herrschte weltweit noch ein grosser Zinsoptimismus vor. Die implizite Volatilität und andere Stimmungsindikatoren haben schon bald darauf eine kurzfristige Konsolidierung angezeigt. Und ehrlicherweise kann ein Rücksetzer bei Aktien von 10 bis 15 Prozent immer geschehen. Es braucht nur einen Schock für einen Taucher. Mein Lieblingsbeispiel diesbezüglich ist Ende 2018, wo alles, selbst die Zinsen, einbüssten. Rezessionsängste tauchten auf. Für den Januar 2019 war die Handlungsanweisung einfach: nichts wie rein in die Aktienmärkte. Der Einbruch vom Jahresende war schliesslich rasch aufgeholt.

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Geht es weiterhin talwärts?

Das zweite Quartal wird wahrscheinlich etwas ruppig. Jetzt haben wir noch die geopolitische Entwicklung im Nahen Osten. Und die geldpolitischen Adjustierungen in den Köpfen sind auch noch im Gange. Gleichzeitig werden Konjunkturfragen wieder stärker aufkommen. Erholt sich jetzt die Industrie? Ist der amerikanische Konsument immer noch stark? 

Zur Person

Thomas Fischer ist seit 2012 bei der BEKB im Bereich Asset Management tätig. Tätigkeiten als Portfoliomanager institutionelle Kunden, Fondsmanager Global Fixed Income und leitender Volkswirt der Bank. Ab 2020 Leiter der Abteilung Investment Strategy und Übernahme der Rolle als Chief Investment Officer. Thomas Fischer besitzt einen Bachelor in Volkswirtschaftslehre der Universität Bern sowie einen Master in Banking und Finance der Universität Zürich. Zudem ist er Chartered Financial Analyst (CFA).

Wie sehen Sie die Entwicklung über das zweite Quartal hinaus?

Die Marktlage wird sich im Jahresverlauf wieder verbessern, insbesondere da sich die Industrie nach der Rezession im letzten Jahr wieder erholen wird. Das dürfte auch die Stimmung wieder positiv beeinflussen.

Auch saisonal stehen magere Monate an: «Sell in May and go away»...

Ja, dieses Sprichwort hat ja wirklich etwas. Aber Sie haben nur die erste Hälfte gesagt. «But remember to come back in September» ist genauso wichtig. Auf den Schweizer Aktienmarkt bezogen hat die Entwicklung in der Dividendensaison enttäuscht. Deshalb denke ich auch, dass die Schweizer Börse in den kommenden Monaten wegen der defensiven Charakteristiken im relativen Vergleich besser abschneiden wird als der MSCI World.

Wie wirkt sich die geopolitische Lage mit der Krise im Nahen Osten und dem anhaltenden Ukraine-Krieg aus?

Zweifellos haben politische Börsen kurze Beine. Strategisch werden wir aber in den nächsten zehn bis 20 Jahren grosse Veränderungen erleben. Es gibt eine «Great Power Competition» zwischen den USA und China. Verschiedene Experten prognostizieren einen grossen Clash. Man muss es im Hinterkopf haben. 

Vorerst keine Panik…

Die Frage ist immer, wann kommt der Ausreisser? Auf den grossen Absacker zu setzen, ist aber problematisch und nicht zielführend. Grundsätzlich sind Kriege oder Konflikte aber inflationär. Temporär dämpfen sie die Endnachfrage, sprich das Wachstum. Wenn die Zentralbanken, je nach Intensität des Schocks, die Zinsen hochnehmen, gibt es eine Bewertungskorrektur. Oder wenn diese die Zinsen künstlich tief halten, haben wir eine Situation wie in den 30er, 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die Faustregel ist, dass man keine Aktien oder Obligationen von den Verliererparteien haben soll. Von solchen Überlegungen sind wir jetzt ehrlich gesagt noch weit entfernt.

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Sie sprechen die Inflation an: Die geldpolitische Trendwende lässt zumindest in den USA gerade deswegen wohl länger auf sich warten als erhofft. Mit welcher Entwicklung bei den Zinsen rechnen Sie?

Der Anstieg dürfte nur kurzfristig sein. Die Lage sollte sich im Verlauf des Sommers entspannen. Ich rechne daher in diesem Jahr immer noch mit Leitzinssenkungen durch die EZB und die Fed - maximal 100 Basispunkte in Europa und 50 Basispunkte in den USA. Die Problematik liegt woanders.

Sie zielen auf die Zinskurven ab… 

Die Zinskurve ist in der Schweiz, in der Eurozone und den USA invers. Was passiert mit den langfristigen Zinsen? Dort wird es noch Anpassungen nach oben geben, in der Schweiz um 25 Basispunkte. Dies muss auch in den Köpfen geschehen.

Was sind die Konsequenzen?

Hypothekar-Kunden rechnen teilweise immer noch mit Hypotheken-Zinsen wie nach der Finanzkrise. Das ist falsch. Mit mindestens einem Prozent Zins für Geldmarktanlagen beziehungsweise etwas über 2 Prozent für Festzinshypotheken muss man rechnen. 

Was ist die grösste Markt-Gefahr, die Ihrer Meinung nach derzeit niemand auf dem Radar hat?

Das ist das Stagflations-Szenario, Wiederholung der Seventies. Dabei gibt es mehr Parallelen zu dieser Situation als wir meinen.

Das grobe P-Framework von Thomas Urs Fischer für die Wiederholung der Seventies

Welche Erwartungen haben Sie an die anlaufende Berichtssaison? 

Wenn ich jetzt die Zahlen ausserhalb der Schweiz anschaue, sieht es eher nach einer Enttäuschung aus. Und im zweiten Quartal wird es wohl dann Abwärtsrevisionen geben, bevor die ganze Geschichte im zweiten Halbjahr wieder besser wird. 

Und für die Schweiz?

Die Schweiz ist ein kleiner Sonderfall. Die Pharma- und Lebensmittelsektoren sind defensive Wachstumssektoren und die sind im internationalen Vergleich attraktiv bewertet. Und darum denke ich, könnte man dort vielleicht die eine oder andere positive Überraschung sehen, Roche ist beispielsweise ein Trauerspiel und das nicht erst seit kurzem. Irgendwann merkt der Markt, dass es eine gut geführte Firma ist und das Sentiment wird sich verbessern. 

Wie macht sich die Frankenabschwächung bemerkbar?

Eine günstige Währung kann natürlich auch Kapital aus dem Ausland anziehen. Das dürfte dem Aktienmarkt Rückenwind geben.

Auf was sollten Anleger setzen? Substanzaktien (Value), Zykliker oder Wachstumswerte?

Zuerst einmal ist eine vernünftige Diversifikation notwendig. Aber Substanzwerte wie Nestlé, Roche oder Novartis sind seit 2023 gegenüber zyklischen Titeln stark im Hintertreffen. Wenn wir die Relationen anschauen, sind wir insbesondere bei den zyklischen Werten wieder nahe bei der Blasen-Situation von Ende 2021.

Sie streichen Nestlé, Roche und Novartis als Investments hervor? 

Ja. Weil ich dort als Anleger einfach etwas zu einem vernünftigen Preis kaufen kann, mit intakten Wachstumsaussichten, mit guten Margen. Es sind die Schweizer Gewinneraktien für die nächsten Monate.

Was halten Sie von einem Investment in Zykliker?

Dort wird die Industrieerholung schon vorweggenommen. Es bieten sich eher Gewinnmitnahmen an. Oder man muss sehr selektiv sein. Versicherer und weniger zyklische Banken sind da sicher auch interessant, beispielsweise Swiss Life und Zurich. Da gibt es in der Schweiz zum Glück ordentlich Qualität.

Wo bieten sich konkret Gewinnmitnahmen an?

Wir haben aktuell nichts auf der Verkaufsliste. Wir sprechen aber von Gewinnmitnahmen, das ist immer ein Rebalancing. Und da würde ich sagen, ABB ist recht weit gelaufen. 

Wie stehen Sie einem Investment bei den Überfliegern Lonza oder Sulzer gegenüber?

Bei Titeln, die 30 bis 40 Prozent zugelegt haben, bieten sich manchmal eine kleine Gewinnmitnahme an. Lonza ist jedoch eine Ausnahme. Diesen Titel haben wir weiterhin auf der Einkaufsliste.

Im breiten Markt ist Swatch seit längerem ein Trauerspiel. Ist der Titel trotz der schlechten Corporate Governance ein Kauf?

Corporate Governance ist grundsätzlich ein wichtiger Faktor bei der Analyse. Es gibt aber auch Familienunternehmen, bei denen das Alignment von den Mehrheitseignern aus einer langfristigen Perspektive mit einem langfristig orientierten Anleger übereinstimmt. Swatch steht bei uns auf der Kaufliste. Es braucht einfach Geduld. Schon nur wegen der Zyklizität. 

Auch Logitech kommt wegen wegbrechender Wachstumsfantasien nicht vom Fleck. Bieten sich hier Chancen?

Grundsätzlich bleibt es ein interessanter Titel. Gespannt warten wir auf den Kapitalmarkttag im Mai 2024. Hardware innerhalb der Technologie ist eher günstig bewertet, trotz sehr hoher Profitabilität. 

Was sind die wichtigsten und überraschendsten Erkenntnisse bei der Anlagestrategie, die Sie für den langfristigen Erfolg an der Börse für unabdingbar halten?

Ein wichtiger Punkt ist die Systematik. Ich brauche eine Anlagestrategie und diese sollte sich von der Taktik unterscheiden. Es gibt x verschiedene Zyklen. Und für jeden Fall braucht es eine Systematik, gewisse Regeln. Wie bei den Stimmungsschwankungen an den Aktien- und Obligationenmärkten. Wenn Euphorie vorherrscht, dann muss ich Risiken rausnehmen. Und wenn Angst dominiert, dann muss ich Risiken hochfahren. 

Das ist nicht überraschend…

Aus Schweizer Sicht wäre es in der Vergangenheit besser gewesen, Währungsrisiken auch bei ausländischen Aktien abzusichern. Oder bei Immobilien- und Kreditinvestments sind risikoadjustierte Renditen vergleichsweise stark. Und die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. 

Wie interpretieren Sie dieses Bonmot, das Mark Twain fälschlicherweise zugeschrieben wird?

Die heutigen Generationen an Ökonomen und Strategen inklusive hatten relativ wenig Wirtschaftsgeschichte im Studium. Ich finde es manchmal noch aufschlussreich, wenn man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzt. Denn wir hatten jetzt Ereignisse, mehrere aufeinander, die wir selber noch nie erlebt haben, die vielleicht auch unsere Eltern nicht kennen, die es aber in der Geschichte schon in ähnlicher Form gegeben hat. Ein solches Wissen sollte in eine Vermögensverwaltung einfliessen, wie es auch Ray Dalio macht. 

Dieser Artikel erschien zuerst auf cash.ch unter dem Titel: «‹Die geldpolitischen Adjustierungen in den Köpfen sind noch im Gange›»​​​​​​.

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